Lisi Bliem, die Sennerin beim Murthörl
Eine Liebesgeschichte vor 100 Jahren
Wenn man viel in den Bergen unterwegs ist, fallen einem die Reste von Almhütten, Gemäuer und verwachsene Wege auf. Steinesucher und Jäger nutzen gerne diese streckenweise noch vorhandenen alten Wege. Im hinteren Murtal, nahe dem Aufstieg zum Murtörl, gibt es einige dieser Zeugnisse vergangener Tage zu entdecken. Manchen Stoasuacher interessiert nicht nur die Geschichte der Erde, in deren Dimensionen 100 Jahre verschwindend wenig sind, sondern auch die Geschichte der Einwohner der hochalpinen Regionen. Durch einen Fund in einem alten Bauernhof im Lungau, lässt sich eine Episode aus dem Leben einer Sennerin, die viele Almsommer im Murtal verbrachte, rekonstruieren

Ein desolater Bauernhof wird abgerissen. Jahrhunderte alte Holzbalken mit eingeschnitzten Jahreszahlen, Reste von Hausrat und Fensterglas, Möbel, bäuerliches Gebrauchsgut, vieles auch gutes altes Handwerk - ein Haufen der weg muss, um einem neuen Gebäude Platz zu machen.

Vielleicht denkt einer der Arbeiter an die früheren Besitzer, oder an Geschichten, die sich mit diesem vor langer Zeit errichteten Bauwerk verknüpfen. Irgendwann zogen die letzten Bewohner aus oder gingen ins „Altersheim“. Die Reste ihrer Habseligkeiten - „des oide Glumpat“ und auch ihr Domizil wird „entsorgt“.

In diesen Resten finden sich einige Briefe, Karten, Fotos und Ausweise. Daraus eröffnet sich ein Zeitfenster: Die Freundschaft einer Sennerin beim Murthörl, mit einem Forstarbeiter aus dem Murtal vor 100 Jahren.




In diesem Haus lebte Michael Feichter. Er hatte offenbar ein „Gschpusi“ mit der Sennerin Lisi Bliem vom Murthörl. Leider ist nur ein Teil der Korrespondenz von Lisi Bliem an Michael Feichter erhalten geblieben. Es muss ihm jedoch etwas daran gelegen haben, diese jahrzehntelang zu bewahren. Von ihm gibt es ein Foto und einen Ausweis. Lisi Bliem ist nur dem Namen nach bekannt. Dennoch drückt die wenig erhaltene Korrespondenz die damalige Zeit und das Verhältnis dieser beiden Menschen zueinander deutlich aus.

Man schrieb das Jahr 1915. Lisi war schon auf der Alm, Michael im Krieg bei den Landesschützen. Sie schreibt ihm:

„Werther Freund, ich habe deinen Brief vom 12. Juni erhalten, bin am 1. schon in die Alm gewandert, was mir wohl nicht angenehm war. Mir geht es sonst nicht schlecht aber Freude habe ich wenig und daheim noch weniger. Es ist wirklich so wenn man zu lang an einem Platz ist, werden einem Stühle und Bänke fremd. Und doch kann ich mich nicht ausdrücken was nicht stimmt. Denn ich bin von zarter Jugend an gewohnt das Herzeleid allein zu tragen, denn kein Herz schlug für mich was mir trübe Stunden erleichtert hätte.“


Briefanschrift - An / Herrn / Michael Feichter / kuk Landesschützen Regiment No.III
/ Maschinen Gewehr / Abteilung 4/III / Schärding in Oberösterreich a Inn.

Die rote 10 Heller Briefmarke zeigt den 30,5 cm Mörser der österreichischen-ungarischen Armee.
Zur damaligen Zeit das weltweit modernste Artilleriegeschütz.
Der Brief wurde am 12. September 1915 im Postamt St.Michael im Lungau abgestempelt.
Briefabsender - Wohlgb. (Wohlgeboren - also ehelich geboren) / Fräulein (also unverheiratet)
Lisi Bliem / Sennerin b Murthörl Muhr / Post St. Michael in Lungau / Salzburg.



Mit diesen Worten teilt sie ihrem Freund ihre Gefühle mit. Die zu erwartende Einsamkeit und die Ungewissheit des nun zu erlebenden Almsommers finden hier Ausdruck. Damals gab es keinen Tourismus, keine Schutzhütten, keine Wanderer die ab und zu mal für Abwechslung sorgten. Vor 100 Jahren war der Almbetrieb eine rein existenzielle Sache für die in den Tälern lebenden Bauern.

„Und so ergab ich auch jetzt wiederum mich dem Schicksale und füge mich dem Unvermeidlichen. Dies ist alles was ich Dir von meinem schweren Kummer erzähle."

Du wirst übrigens schon in meinem Brief vom… vernommen haben das mein Gemüth leidet, das Herz blutet, und doch lasse ich mir unter fremden Menschen nichts merken“.

Ihre hier angesprochenen Kontakte beschränkten sich vermutlich auf die Abholung der von ihr hergestellten Almprodukte. Vielleicht kam auch ab und zu ein Jäger vorbei. Diese wenigen Begegnungen waren für die Sennerin eine willkommene Abwechslung.

„Sonst bin ich gesund und scherze mit meinem jungen Kühhüter und meiner Herde. Mein lieber Freund wie geht es Dir immer, ich hab Dich lieb. Schreib was Du brauchst.“

Zu diesem Zeitpunkt war ihr Freund Michal Feichter als Maschinengewehrschütze im Ersten Weltkrieg an der Front. Seine Korrespondenz an Lisi Bliem ist nicht erhalten. Damals war er 29. Aus seinem Identitätsausweis von 1946 geht hervor, dass Michael Feichter als 60-jähriger unverheiratet war.

Auf einer Ansichtskarte aus „Maritzen - Muhrthal, Seehöhe 1522m“ schreibt sie Michael:
„Die besten Grüße entbietet aus der schönen Gebirgswelt Lisi Bliem“.

Nahe dem Murthörl, dem Übergang vom Lungau in das Großarltal im Pongau, befindet sich taleinwärts rechts, eine leider schon sehr verfallene kleine Hütte. Schräg gegenüber etwas talauswärts, Reste ehemaliger Almhütten. Es ist anzunehmen, dass Lisi Bliem - die „Sennerin beim Murthörl“ dort einige ihrer Almsommer verbrachte. Sie liebte diese schöne Lungauer Gebirgswelt und auch ihren Michael. Doch die beiden werden das genauer wissen.


Vermutlich hat Lisi Bliem in diesem Bereich des Murtales einige Almsommer verbracht.




Michael Feichter in der Uniform der Tiroler Landesschützen (ab 1917 „Kaiserschützen“). Charakteristisch das Edelweiß als Kragenaufschlag und der Spielhahnstoß mit Federspiel auf der Kappe. Feichter trägt rechts das Tätigkeitsabzeichen für Maschinengewehrschützen und links die Schützenschnur für ausgezeichnete Schützen.



Identitätsausweis aus dem Jahre 1946 des mittlerweile 60 jährigen Michael Feichter



Sterbebild von Josef Bliem einem Bruder von Lisi Bliem vom März 1915. Dieser diente ebenso beim Landesschützenregiment III, wie ihr Freund Michael Feichter




Vier Grußkarten von Lisi Bliem an Michael Feichter.
Adressiert nach Bosnien, Trentino und an die Südtiroler Front, aus den Jahren 1915-1918.











Ansichtskarte 1915 - von Lisi Bliem aus Maritzen-Muhrthal (Seehöhe 1522m)
an Michael Feichter in Unterweißburg bei St.Michael.
Der Text lautet: "Die besten Grüße entbietet aus der schönen Gebirgswelt Lisi Bliem"


Die Moritzenalm. Ein Jahrhundert später.


Dieser Artikel wurde dankenswerterweise von Prof. Tristan Loidl für unsere Homepage verfasst.
Salzburg, Dezember 2014.